In unseren Trainings taucht als eines der drängendsten Probleme in der Projektmanagement-Praxis immer wieder der Punkt „Zusatzanforderungen im Projektverlauf (auch als Scope Creep bekannt)“ auf. Mir stellt sich immer die Frage, ob das Problem wirklich die Zusatzanforderungen sind? Kann der Kunde wirklich zu Beginn des Projekts schon genau wissen, welche Funktionalitäten/Produkte er am Ende in welcher Ausprägung erwartet? Und warum ist es so schlimm, wenn die Zusatzerkenntnisse im Projektverlauf dazu führen, dass noch weitere Produkte mit aufgenommen werden sollen?
Ja, es ist meist ein großes Problem, wenn Zusatzanforderungen im Projekt auftauchen – das haben auch die Anwender der Methode PRINCE2 festgestellt. Daher bietet die Methode ein Instrumentarium, um mit diesem „Schreckgespenst“ umzugehen. Änderungen im Projektverlauf sind nicht per se schlecht – man muss den Entscheidern jedoch genau aufzeigen, was die Auswirkungen dieser Änderungen sind.
Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Projektmanager (PM) führt für den Kunden eine neue Software ein, die konfigurierbar ist. Dem Kunden fallen immer wieder ein paar neue Aspekte auf, die er als zusätzliche Wünsche an den Projektmanager weitergibt. Einige davon sind relativ leicht mit umzusetzen, deswegen nimmt sie der Projektmanager mit auf und setzt sie um – ohne es dem Kunden zusätzlich zu berechnen, auch wenn dadurch die Umsetzung etwas länger dauert. Er denkt sich, am Projektende wäre der Kunde begeistert über seine positive Einstellung und das finanzielle Entgegenkommen. Das Gegenteil ist der Fall – warum bloß?
Aufgrund der Vielzahl kleinerer Änderungen konnte der Endtermin nicht eingehalten werden. Wäre dem Kunden diese Auswirkung vorab bekannt gewesen, dann hätte er sicher ein paar Funktionalitäten auf die Zukunft verschoben, um den Termin zu halten. Der Projektmanager hatte einen entscheidenden Fehler gemacht: bei der Umsetzung der Änderungen hatte dem Kunden „die Entscheidung abgenommen“, was die höchste Priorität im Projekt ist und die Auswirkungen auf das Gesamtprojekt nicht bewertet und kommuniziert.
Genau diese Problematik greift das Vorgehen für offene Punkte und Änderungssteuerung bei PRINCE2 auf. Es bietet ein Instrumentarium, mit dem die Auswirkungen der Änderungswünsche transparent gemacht werden. Eine bewusste gemeinsame Entscheidung, wie mit diesen Wünschen umzugehen ist, wird herbei geführt – dies beinhaltet immer die Berücksichtigung unterschiedlicher Aspekte des Projekts. In meiner eigenen praktischen Erfahrung war die Einsteuerung dieser Änderungen ein echter Erfolgsfaktor für Projekte – auch wenn man sich dabei anfänglich nicht immer Freunde macht.